Freitag, 19. April 2019

Ihr seid unser Gewissen


Ihr seid unser Gewissen. Und zwar das ganz fiese, kleine, hinterlistige. Das bigotte, kleinbürgerliche, das selbst immer alles besser weiss und das das vor allem auch allen anderen sagen muss. Denn die anderen, die wissen ja nichts und machen alles falsch. Ja, in der Moral kann jeder Apostel sein und vor allem kann man die ganz ganz große Keule auspacken – die mit dem Holzhammer – oder der Goldkante.

Keine Ahnung, warum sich Leute aufregen, dass andere ihr eigenes Geld für eine abgebrannte weltbekannte Kirche spenden. Keine Ahnung, warum das überhaupt jemand etwas angeht. Ja klar, weil man zeitgleich ja nichts für die Armen wo-auch-immer gespendet hat. Also, so ist der Schluss der Schlusse, spende lieber niemand etwas. Egal, ob es das eigene Geld ist oder nicht. Und das Ganze wird dann noch mit einem gehörigen Schuss Polemik serviert á la “Die Kirche hat genug Geld“. Hat sie. Aber der gehört die abgebrannte weltbekannte Kirche nicht, sondern dem Staat. Und wer dafür spenden will, der soll es tun. An Weihnachten wird auch gespendet. Für Arme, Obdachlose, Bedürftige – und da machen dann vor allem die nicht mit, die sich als das Gewissen ausgeben. Denn “wer weiss, wo das Geld hinkommt“. Sehr gutes Argument. Ich weiss es nicht, aber ich will ja auch niemand sagen, was er machen soll und poste das mit Penetranz über soziale Netzwerke als doofe Tafel oder sinnfreies Pamphlet.

Spielt doch selber Gewissen und redet euch und anderen ein, was sie zu tun haben. Nur ist es meist schöner und einfacher, den anderen zu sagen, was sie nicht zu tun zu haben, als selbst zu handeln nach der eigenen so aufgestellten Maxime. Die pösen Schüler sollen gefälligst irgendwann demonstrieren, aber bitteschön nicht in der Schulzeit. Und wenn, dann nur, wenn echte Lösungen angeboten werden und nicht so sinnfrei einfach so und einfach auf Probleme hinweisen, die viel zu kompliziert sind, als das sie so einfach gelöst werden können. Bitte diesen Vorschlag auch an alle anderen Demonstrationen oder Streiks weiter geben – Demonstrieren ja, aber bitte nicht, wenn es anderen schadet oder man davon etwas mitbekommt, wenn das jemand tut, denn das ist böse.

Ohje, da ist sie – die Polemik. So leicht geht das. Einfach mal wild was unterstellen und den Moralischen machen. Dazu muss man nicht viel leisten und weder argumentativ noch bei der Formulierung große Höhenflüge der Literatur abliefern. Bang – in your face! Einfach mal drauflos und einfach mal richtig schön selbst keine Lösung anbieten und aktives Anprangering betreiben.
Ja, das stellt einen selbst auf eine höhere Stufe. Spenden für eine Kirche? Bei dem Unheil, das im Namen der Religion angerichtet wird? Oder weil die armen Armen nicht bespendet werden? Es reicht übrigens einfach mal das Anprangering, man muss ja selbst nichts tun oder sich dafür engagieren.

Aber egal wie, es geht keinen (in der Sprache der Polemik: “KEINEN“) etwas an, was irgendwer wann wo mit seinem privaten Geld macht. Vor zwei Wochen hab ich mir ein Spiel gekauft. Ich habe es bis heute nicht gespielt. Bang! In your face! Lebt damit! Kann sein, dass ich es – so wie andere Spiele auch – in den nächsten zwei Jahren nicht spiele.
Und gestern habe ich Sushi gegessen. Volle Dekadenz eben. Bang! Schreibt mir Protestbriefe! Jemand anderes hat gespendet. Für irgendwas. Blinde, Krebsvorsorge, eine Kathedrale. Für zweites davon habe ich dieses Jahr auch schon gespendet. Bang! Damit bin ich besser als all die Kathedralenspender oder wie darf ich das verstehen? Aber ich habe ja auch noch Filme, die ich vor fünf Jahren gekauft und nie angesehen habe – also Geld, dass ich quasi zum Fenster heraus geworfen habe – das macht mich wieder zu einer niederen Kreatur. Immerhin fahre ich nicht in den Urlaub, so wie all die anderen Morallethargiker, die zum Dalai Lama reisen und zugleich allen anderen erzählen wollen, wofür jeder sein Geld auszugeben hat. Weil sie es besser wissen. Weil sie das Gewissen sind. Die echte Instanz!
Dann bleibt doch da und fahrt in den Schwarzwald. Ist besser für die Klimabilanz und die Wirtschaft – man schafft Arbeitsplätze und stärkt nicht-städtische Regionen. Ich kann das sagen. Ich fliege nicht zum Spaß in der Welt herum. Deswegen bin ich die moralische Koryphäe in dieser Disziplin.
Verneigt euch vor mir und spendet das Geld, das ihr dafür verwendet hättet. Macht etwas sinnvolles damit – aber bitte nicht für Schuhe, Essen (außer Käsebrote) oder so etwas profanes wie Kino, Musik, Konzerte oder Unterhaltung ausgeben.
Spenden, meine Lieben! Sofort.
Ich habe das nicht gesagt. Sondern ihr.
Denn ihr seid es.

Unser Gewissen.

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