Mittwoch, 24. April 2019

Revolution auf dem Sofa!!


Es ist jedes Jahr dasselbe Ritual. Und es ist Zeit für alle Revoluzzer, die auf dem Sofa nochmal richtig zündeln und dem Establishment ins Gesicht spucken. Es ist Karfreitag und gerade jetzt wollen alle Mitdreißiger bis Endfünfziger unbedingt in die Disco gehen. 364 Tage im Jahr ist einem das nicht nur schnurz wie schnuppe, sondern auch meist herzlichst egal, denn die drögen Lärmtempel bieten weder Musik noch Publikum, das einem zusagt. Aber jetzt, wo einem einfach der quasi kostenlose Feiertag vermiest wird, indem man heute nicht abtanzen kann, da bekommt man wirklich echt große Lust darauf, das genau jetzt zu tun. Warum geht das nun nicht? Welches antiquarische Recht hindert einen an der Ausübung eines Grundrechts, gerade heute, wo man so viel Verlangen danach hat?

Und auch weiteres ist faul im Staate, denn jedes Jahr um die gleiche Zeit entdecken alle wieder und wieder, dass es eine unglaubliche Frechheit, eine Herabwürdigung der Menschenrechte ist, dass bestimmte Filme nicht öffentlich aufgeführt werden dürfen. Weil den jeder kennt und auch viele mögen, weil man sich so herrlich darüber aufregen kann, muss somit alljährlich “Das Leben des Brian“ für diesen Affront herhalten.
Ja, ich zeig´s euch! Den schau ich mir jetzt an, so lacht man dem System entgegen und startet die Revolution auf dem Sofa und schau sich einfach den Film an (der ja daheim ohnehin nicht verboten ist) und ruft ihnen zu: “Lebt damit! Ihr könnte es nicht verhindern!“
Doch selbst RTL2, der ja nicht unbedingt als innovativster, intelligentester, noch kritischster Sender bekannt ist, zeigt den Streifen einfach mal eiskalt am Ostermontag, insofern ist die Revolution schon im Establishment angekommen und die angestrebte Anarchie kaum mehr als ein laues Windchen, das dann wieder zu nächsten Ostern zelebriert werden darf.
Dabei könnte man sich dann doch auch andere Filme aus der Verbotsliste aussuchen, also sowas wie “Waidmannsheil im Spitzenhöschen“, “Nonnen bis aufs Blut gequält oder “Sexexpress in Oberbayern“ und die dann als Flagge der Grundrechte daheim auf der Couch nicht-öffentlich einfach so ansehen und den Moralaposteln ins Gesicht lachen! Wäre ja immerhin eine Abwechslung.


Betrachtet man die Liste der Filme mit Feiertagsverbot genauer, so gibt es darauf durchaus die einige wenige Produktionen, die sicherlich arg harmlos ist (wie “Banana Joe“, “Max und Moritz“ oder “Police Academy“) und bei der solch ein Verbot diskutabel wäre. Großteils befinden sich aber darauf aber harte Western, Action-, Kriegs-, Selbstjustiz- und Splatterware, genauso wie Softpornos und Erotikfilme. Darüber zu reden wäre geradezu müssig, da einige davon ihr Leben immer noch auf dem Index fristen bzw. ab 18 und somit ohnehin nicht so einfach handhabbar sind.
Desweiteren ist auf der über 700 Filme langen Liste der Großteil aus Verfahren, die zwischen 1980 und 2000 beantragt wurden, sogar mit Schwerpunkt auf die 80er. Nur ca. 50 Filme kamen in den letzten 20 Jahren darauf, was durchaus zeigt, daß der Umgang mit Medien auch in Gremien ein anderer geworden ist und auch die Aufreger selbst dort schon Vergangenheit sind. Die gute Nachricht ist also: man kann in Zukunft auch an Ostern getrost das ansehen, was man möchte und muss nicht für den Kampf zwangsläufig die Liste rauf und runter schauen.
Hurra. Ab in die Disco!
Ach ne, Karfreitag ist ja schon vorbei…


Freitag, 19. April 2019

Ihr seid unser Gewissen


Ihr seid unser Gewissen. Und zwar das ganz fiese, kleine, hinterlistige. Das bigotte, kleinbürgerliche, das selbst immer alles besser weiss und das das vor allem auch allen anderen sagen muss. Denn die anderen, die wissen ja nichts und machen alles falsch. Ja, in der Moral kann jeder Apostel sein und vor allem kann man die ganz ganz große Keule auspacken – die mit dem Holzhammer – oder der Goldkante.

Keine Ahnung, warum sich Leute aufregen, dass andere ihr eigenes Geld für eine abgebrannte weltbekannte Kirche spenden. Keine Ahnung, warum das überhaupt jemand etwas angeht. Ja klar, weil man zeitgleich ja nichts für die Armen wo-auch-immer gespendet hat. Also, so ist der Schluss der Schlusse, spende lieber niemand etwas. Egal, ob es das eigene Geld ist oder nicht. Und das Ganze wird dann noch mit einem gehörigen Schuss Polemik serviert á la “Die Kirche hat genug Geld“. Hat sie. Aber der gehört die abgebrannte weltbekannte Kirche nicht, sondern dem Staat. Und wer dafür spenden will, der soll es tun. An Weihnachten wird auch gespendet. Für Arme, Obdachlose, Bedürftige – und da machen dann vor allem die nicht mit, die sich als das Gewissen ausgeben. Denn “wer weiss, wo das Geld hinkommt“. Sehr gutes Argument. Ich weiss es nicht, aber ich will ja auch niemand sagen, was er machen soll und poste das mit Penetranz über soziale Netzwerke als doofe Tafel oder sinnfreies Pamphlet.

Spielt doch selber Gewissen und redet euch und anderen ein, was sie zu tun haben. Nur ist es meist schöner und einfacher, den anderen zu sagen, was sie nicht zu tun zu haben, als selbst zu handeln nach der eigenen so aufgestellten Maxime. Die pösen Schüler sollen gefälligst irgendwann demonstrieren, aber bitteschön nicht in der Schulzeit. Und wenn, dann nur, wenn echte Lösungen angeboten werden und nicht so sinnfrei einfach so und einfach auf Probleme hinweisen, die viel zu kompliziert sind, als das sie so einfach gelöst werden können. Bitte diesen Vorschlag auch an alle anderen Demonstrationen oder Streiks weiter geben – Demonstrieren ja, aber bitte nicht, wenn es anderen schadet oder man davon etwas mitbekommt, wenn das jemand tut, denn das ist böse.

Ohje, da ist sie – die Polemik. So leicht geht das. Einfach mal wild was unterstellen und den Moralischen machen. Dazu muss man nicht viel leisten und weder argumentativ noch bei der Formulierung große Höhenflüge der Literatur abliefern. Bang – in your face! Einfach mal drauflos und einfach mal richtig schön selbst keine Lösung anbieten und aktives Anprangering betreiben.
Ja, das stellt einen selbst auf eine höhere Stufe. Spenden für eine Kirche? Bei dem Unheil, das im Namen der Religion angerichtet wird? Oder weil die armen Armen nicht bespendet werden? Es reicht übrigens einfach mal das Anprangering, man muss ja selbst nichts tun oder sich dafür engagieren.

Aber egal wie, es geht keinen (in der Sprache der Polemik: “KEINEN“) etwas an, was irgendwer wann wo mit seinem privaten Geld macht. Vor zwei Wochen hab ich mir ein Spiel gekauft. Ich habe es bis heute nicht gespielt. Bang! In your face! Lebt damit! Kann sein, dass ich es – so wie andere Spiele auch – in den nächsten zwei Jahren nicht spiele.
Und gestern habe ich Sushi gegessen. Volle Dekadenz eben. Bang! Schreibt mir Protestbriefe! Jemand anderes hat gespendet. Für irgendwas. Blinde, Krebsvorsorge, eine Kathedrale. Für zweites davon habe ich dieses Jahr auch schon gespendet. Bang! Damit bin ich besser als all die Kathedralenspender oder wie darf ich das verstehen? Aber ich habe ja auch noch Filme, die ich vor fünf Jahren gekauft und nie angesehen habe – also Geld, dass ich quasi zum Fenster heraus geworfen habe – das macht mich wieder zu einer niederen Kreatur. Immerhin fahre ich nicht in den Urlaub, so wie all die anderen Morallethargiker, die zum Dalai Lama reisen und zugleich allen anderen erzählen wollen, wofür jeder sein Geld auszugeben hat. Weil sie es besser wissen. Weil sie das Gewissen sind. Die echte Instanz!
Dann bleibt doch da und fahrt in den Schwarzwald. Ist besser für die Klimabilanz und die Wirtschaft – man schafft Arbeitsplätze und stärkt nicht-städtische Regionen. Ich kann das sagen. Ich fliege nicht zum Spaß in der Welt herum. Deswegen bin ich die moralische Koryphäe in dieser Disziplin.
Verneigt euch vor mir und spendet das Geld, das ihr dafür verwendet hättet. Macht etwas sinnvolles damit – aber bitte nicht für Schuhe, Essen (außer Käsebrote) oder so etwas profanes wie Kino, Musik, Konzerte oder Unterhaltung ausgeben.
Spenden, meine Lieben! Sofort.
Ich habe das nicht gesagt. Sondern ihr.
Denn ihr seid es.

Unser Gewissen.

Donnerstag, 4. April 2019

Gefangen in der eigenen Legende


Lebende Legenden gibt es tatsächlich – noch und immer wieder. Auch wenn deren Anzahl überschaubar ist, so werden das mit fortschreitendem Alter deutlich mehr als dies früher der Fall war. Das ist sicher ein großes Merkmal weltweiter Vernetzung und der Massenmedien. Und eben dass Musik von vor 30, 40 oder gar 50 Jahren nicht mehr als altbacken definiert wird und auch heute noch neues Publikum findet. Die “Rolling Stones“ füllen Stadien, trotz dessen dass die Bandmitglieder über 75 sind. Ja, richtig. Stadien und über 75. Wie schon in Blogartikel über “Früher waren wir alt“ wäre das vormals ein Anachronismus sondergleichen gewesen.
“Kiss“ brechen gerade zu ihrer dreijährigen Abschiedtour auf, komplett in voller Montur mit Plateauschuhen und kompletten Kiss-Outfit. Gene Simmons wird 72 sein, wenn sie die Tour beenden. Auch das sind lebende Legenden. Die Konzerte laufen gut, die Preise sind hoch, kaum bezahlbar teilweise, wenn man kein Hardcore-Fan ist. Wenn Elton John auf Tour geht, sind die Hallen ausverkauft und mit 290,- Euro Eintrittspreis hat man geradezu ein Schnäppchen gemacht, wiewohl man die Bühne für das Geld eher erahnen als sehen kann und auf die Videoprojektion angewiesen ist.

Und dann kommt das Konzert. Und die Bands liefern. Es sind altgediente Streiter, die wissen, was das Publikum will. Paul McCartney spielt zum abermillionsten Mal “Hey Jude“ auf dem Klavier, die Stones “Satisfaction“ und “Metallica“ (okay, nicht die gleiche Legendenliga, aber die Jungs sind ja erst Mitte 50) liefern selbstverständlich auch 2019 “Enter Sandman“ ab. Das ist es auch, was das Publikum letztendlich hören will. Die “Klassiker“, die Hits, die bekannten Songs, die man mit einer speziellen Ära einer Band oder eines Künstlers verbindet. Ja, es gibt eventuell ein neues Album, aber bitte spielt doch einfach “Honky Tonk Women“ und alle sind glücklich. Elton John lässt sich nicht bitten und haut “Rocket Man“ und “Candle in the Wind“ auf seiner aktuellen Tour raus. Und auch jede Setlist der genannten Bands und ähnlicher Größen liest sich einfach wie das nie erschienene beste “Best of“ der Künstler. Einfach gnadenlos 20 Hits hintereinander geklatscht und gut ist und vor allem gehen alle zufrieden nach Hause.
Klar, es gibt auch die Fans, die einen Titel aus dem kaum gespielten “The Elder“-Album von “Kiss“ abfeiern würden, doch die Freude hielte sich in Grenzen beim Rest, der nicht mal die Titel kennt. Wer für die Massen spielt, der muss der Masse auch das bieten, was sie begehrt. Schon Goethe schrieb dereinst in Faust: “Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen“ und hat damit vor über 230 Jahren die Psychologie dieser Masse erkannt, indem er dort im Vorspiel im Theater den Direktor des Theaters genau das vom Poeten fordern ließ; nämlich dieser zu geben, was sie braucht.
Und so ist es auch heute noch.

Gut, dass Bands solche Hitfeuerwerke abschießen können ist eine starke Leistung. Kaum Füller oder das Warten darauf, dass endlich ER gespielt wird – der große Überhit, den alle herbeisehnen, wie es bei anderen Gruppen der Fall sein mag. Dennoch müssen sie liefern. Die Fans wollen, was sie wollen und allzu große Abweichungen lässt man selbst kaum zu. Man reglementiert sich also auch. Was kommt gut an, was nicht – das weiß man nach Jahrzehnten auf Tour, ist aber auch in diesem Kreislauf gefangen. Man spielt, was gefällt, nicht das was man möchte, das was man nicht Millionen Mal dargeboten hat, das was vielleicht anspruchsvoller, interessanter wäre.

Aber nicht nur hier ist man dem unterworfen, auch bei neuen Veröffentlichungen. “Kiss“ hat innerhalb von 20 Jahren genau zwei Alben rausgebracht – das letzte vor sieben Jahren. Die “Stones“ im selben Zeitraum ebenfalls die gleiche Menge – das neuste Album von 2015 besteht zudem nur aus Coverversionen alter Bluestitel anderer Künstler. Elton John feuerte hingegen ganze sieben Alben in der gleichen Zeit raus. Nur hat man davon kaum was mitbekommen letztlich.
“Mehr vom Gleichen“ ist die Attitüde von “Kiss“ mittlerweile, die einfach straight hard rock ohne Schnörkel auf den letzten Studioalben geboten haben. “Lieber nichts neues, als was schlechtes“, scheint die der “Stones“ zu sein, die darum dann auf Coversongs zurück greifen, um nochmal abzusahnen. Denn die Alben verkaufen sich durchaus, das ist ja der Legendenbonus, doch dann wirklich hören mag man das nicht immer wollen, wenn die Zeit dafür eigentlich abgelaufen ist. Man konserviert die große Zeit der Band, die 60er und 70er bei den Stones, die 70er und 80er bei “Kiss“. Damit verbinden die Leute etwas, das ist der Kern der Legende. Die unmaskierten Zeiten von “Kiss“ sind vergessen, auch die dieser Ära Alben eher unbeachtet. Selbst das in den 90ern erfolgreiche “Anybody Seen My Baby“ der “Stones“ findet sich nicht mal auf aktuellen Setlisten der Band. “Paint It Black“ und “Gimme Shelter“ sind halt doch einfach größer irgendwie.

Es kann eben auch hemmend sein, diesen Status zu besitzen. Die Albenproduktion dauert länger, die eigenen Ansprüche sind höher, man ist weniger locker im Umgang damit, die Legende spielt mit in die eigene künstlerische Tätigkeit hinein. Ein neuer Song, der stilistisch nicht wie die alten ist? Ein Titel, dessen Potential nur der eines Füllers ist, wenn man ihn mit den alten vergleicht? Fans, die althergebrachtes wollen und keine neuen Wege? Da blockt man sich leicht selbst aus, stagniert ohne neue Veröffentlichung oder muss sich geradezu herkulisch dazu aufraffen, um etwas anzugehen. Und wenn dann was erscheint, dann ist es eventuell sogar durchaus erfolgreich aufgrund des Legendenbonus, aber richtig hören wollen die Leute anderes.
Die Konservierung der Legendenzeit ist es, was man sucht. Während Paul McCartneys neustes Album auch die Nummer eins der Charts erreichte, stürzten sich die Fans 1995/96 wie bekloppt auf die dreiteilige “Beatles-Anthology“, die vor allem Resteverwertung alter Aufnahmen und Demos waren und eigentlich nur für Hardcore-Fans goutierbar sind. Trotz der harten Kost verkaufte sich das damals mehr als dreimal so viel.  Und als “Pink Floyd“ 2014 nach 21 Jahren mit “The Endless River“ ein neues Album veröffentlichten, so waren das die Reste der Aufnahmen für das 1993 entstandene “The Division Bell“ und keine eigentlich neuen Songs. Auch dieses Kuriosum mag ein Teil dessen sein, dass man als lebende Legende erfährt, nämlich, dass die Legende irgendwann größer geworden ist als man selbst.