Dienstag, 3. September 2019

Komm, ich cover den nächsten Song – oder willst Du das machen?


Wer kennt das nicht – das Radio spielt, eine TV-Show läuft oder die Werbung dudelt – und der darin enthaltende Song kommt einem (manchmal nur in Teilen) bekannt vor. Ja, ganz klar, hier wurde wieder mal gecovert. Ein altes Lied aufgewärmt, sozusagen. Oft ist es der Refrain oder ein musikalisches Riff, in vielen Fällen auch der ganze Song. Dabei ist es egal, von wann das Lied stammt, aber da die 60er und 70er bald alle abgegrast sind (Mannfred Mann, Led Zeppelin, Harry Belafonte und mehr), sind derzeit die 80er, 90er und mittlerweile sogar schon die 2000er beliebt.
Im Prinzip wird dabei der alte Song meist modernisiert und manchmal auch im musikalischen Genre verschoben. So werden auch aus Pop oder Rockstücken Clubnummern mit viel House- oder Tranceeinschlag. Eben das, was gerade aktuell auf den Tanzflächen angesagt ist.

Dass diese Remakewelle auch im Film omnipräsent ist, habe ich ja in der Vergangenheit schon thematisiert. Allerdings muss man gerade auf das musikalische bezogen sagen, dass diese Praxis alles andere als neu ist. Diese vermeintliche Seuche einer unmusikalischen, unkreativen Jugend gab es, seitdem es Platten gibt, nur erinnert sich kaum einer mehr daran. Dieses liegt meist an der Tatsache, dass die Zeit bestimmt, was übrig bleibt. Wer erinnert sich denn wirklich an alle 53 Coverversionen von “Twist and Shout“? Von diesem Song erschienen allein 1963 mindestens drei Fassungen – und das nach dem Flop der ersten Version 1961 und dem Erfolg der Isley Brothers 1962. Keiner hat nach letzterer Fassung eigentlich eine Coverversion gebraucht. Trotzdem wollte jeder was abhaben von dem Kuchen. Selbst die Beatles haben das auf ihrem ersten eigenen Album 1962 mit draufgepackt. Das war einfach Usus, das war normal. Davor war keiner gefeit. Carl Perkins größter Hit “Blue Suede Shoes“ ist heute in der Elvis-Fassung fast bekannter. Auch ein böser Coversong, der nur wenige Monate nach dem Original erschien und auch Buddy Holly ließ es sich nicht nehmen eine eigene Fassung zu erstellen.

Wie schon bei “Twist“ unterscheiden sich die Lieder dabei nicht immer derart, dass die jeweilige Fassung ein echtes Eigenleben hat. Soviel Kreativität war selten gefragt, schließlich sollten die Leute auch damals schon dazu Tanzen können. Und dann spielte man den Stil, der angesagt war. Und da das alle Songs waren, die ohnehin in diesem Stil waren, war damit die Palette der Variationen äußerst klein und beschränkte sich auf eine andere Stimmfarbe des jeweiligen Sängers oder kleinere Variationen. Erst mit einem Fortschreiten der Musik, mit einer Differenzierung der Stile in den Genres, kamen dann spätestens ab Ende der 60er interessantere Neufassungen auf, die erstmals komplett die Stile verschoben und den Begriff des Covers wirklich neu definierten.  Wenn Jimmy Hendrix “All Along The Watchtower“ spielt, dann ist der Bob Dylan-Original kaum noch wiederzuerkennen. Die Chordstruktur stimmt, doch schon das Intro variiert Hendrix, ganz zu schweigen von der Dynamik, den Soli und den Effekten. Ein Singer-Songwriter-Stück wird zu einem Rocksong. Du niemand würde sich heute ernsthaft darüber beschweren oder Hendrix mangelnde Kreativität im Songwriting vorwerfen.
Joe Cocker hat dies in den 70ern und 80ern geradezu perfektioniert. Schon sein erster großer Hit “With A Little Help From My Friends“ war eine Coverversion eines kleineren Beatles-Songs. Und auch “You Can Leave Your Hat On“, das viele für ein Cocker-Original halten, ist auch eine Coverfassung. Aber sie ist so unterschiedlich vom Original, dass man tatsächlich von einer reinen Neuinterpretation reden kann. Hendrix wie auch Cocker haben dazu in ihren Coversongs nicht nur die jeweiligen Lieder an die Zeit angepasst, sondern damit auch etwas neues geschaffen und im Bewusstsein die Originale verdrängt, sind selbst zu diesen geworden.

Andere Lieder haben ein ähnliches Schicksal. Als Marylin Manson “Tainted Love“ coverte, beriefen sich viele auf das scheinbare Wave-Original aus den 80ern, das aber selbst schon ein Cover eines Liedes von 1965 war. Das ist der Umkehrschluss daraus. Ein Coversong, der so erfolgreich und bei dem das Original mittlerweile so unbekannt ist, wird in der Wahrnehmung selbst zum Original, das er eigentlich nicht ist.
Diese radikale Neuinterpretation gibt es aber nicht immer. Manchmal sing jemand einfach nur das alte Stück mit leicht modernisiertem Arrangement nach. Jeff Buckleys Fassung von Leonard Cohens “Hallelujah“ wäre so ein Fall. Und natürlich gibt es heute auch den Transport in ein anderes Genre.

Was mit dem Discotrend der 70er begann gilt bis heute. Ältere Songs werden dem Dancefloor angepasst. Dieser hat eigene Regeln, eigene Strömungen. Warum nicht ein bekanntes Stück nehmen, es mit Trancesounds versehen und so zu veröffentlichen? Ja, heute ist das anders. Da knallt die Kickdrum auf 4/4 rum und überhaupt ist das ja nur total unkreativ und primitiv. Aber das haben damals auch die Wächter der Moral und Musik über Hendrix und die Beatles gesagt. Heute sind das die Klassiker und morgen werden es wieder andere sein. Die Zeit zeigt, was übrig bleibt. Nicht jedes neue Cover überdauert die nächsten Jahre, nicht jeder Song wird in fünf, in 10 Jahren noch gespielt, geschweige denn gecovert werden. Eine Erscheinung also, die es schon seit Ewigkeiten gibt und nicht erst seit heute, die keinesfalls dazu benutzt werden darf, die Jugend, die nächste Generation zu diskreditieren. Das war früher schon der Fall, nur damals waren die Rollen umgedreht. Gebracht hat es ohnehin nichts und im Grunde wissen wir doch damit eines – und das birgt ja auch eine innere Befriedigung für alle – die Jugend von heute wird sich morgen auch wieder über die Unkreativität und Unmusikalität der Jugend aufregen – und dann wissen die endlich, wie das ist!