Dienstag, 3. September 2019

Komm, ich cover den nächsten Song – oder willst Du das machen?


Wer kennt das nicht – das Radio spielt, eine TV-Show läuft oder die Werbung dudelt – und der darin enthaltende Song kommt einem (manchmal nur in Teilen) bekannt vor. Ja, ganz klar, hier wurde wieder mal gecovert. Ein altes Lied aufgewärmt, sozusagen. Oft ist es der Refrain oder ein musikalisches Riff, in vielen Fällen auch der ganze Song. Dabei ist es egal, von wann das Lied stammt, aber da die 60er und 70er bald alle abgegrast sind (Mannfred Mann, Led Zeppelin, Harry Belafonte und mehr), sind derzeit die 80er, 90er und mittlerweile sogar schon die 2000er beliebt.
Im Prinzip wird dabei der alte Song meist modernisiert und manchmal auch im musikalischen Genre verschoben. So werden auch aus Pop oder Rockstücken Clubnummern mit viel House- oder Tranceeinschlag. Eben das, was gerade aktuell auf den Tanzflächen angesagt ist.

Dass diese Remakewelle auch im Film omnipräsent ist, habe ich ja in der Vergangenheit schon thematisiert. Allerdings muss man gerade auf das musikalische bezogen sagen, dass diese Praxis alles andere als neu ist. Diese vermeintliche Seuche einer unmusikalischen, unkreativen Jugend gab es, seitdem es Platten gibt, nur erinnert sich kaum einer mehr daran. Dieses liegt meist an der Tatsache, dass die Zeit bestimmt, was übrig bleibt. Wer erinnert sich denn wirklich an alle 53 Coverversionen von “Twist and Shout“? Von diesem Song erschienen allein 1963 mindestens drei Fassungen – und das nach dem Flop der ersten Version 1961 und dem Erfolg der Isley Brothers 1962. Keiner hat nach letzterer Fassung eigentlich eine Coverversion gebraucht. Trotzdem wollte jeder was abhaben von dem Kuchen. Selbst die Beatles haben das auf ihrem ersten eigenen Album 1962 mit draufgepackt. Das war einfach Usus, das war normal. Davor war keiner gefeit. Carl Perkins größter Hit “Blue Suede Shoes“ ist heute in der Elvis-Fassung fast bekannter. Auch ein böser Coversong, der nur wenige Monate nach dem Original erschien und auch Buddy Holly ließ es sich nicht nehmen eine eigene Fassung zu erstellen.

Wie schon bei “Twist“ unterscheiden sich die Lieder dabei nicht immer derart, dass die jeweilige Fassung ein echtes Eigenleben hat. Soviel Kreativität war selten gefragt, schließlich sollten die Leute auch damals schon dazu Tanzen können. Und dann spielte man den Stil, der angesagt war. Und da das alle Songs waren, die ohnehin in diesem Stil waren, war damit die Palette der Variationen äußerst klein und beschränkte sich auf eine andere Stimmfarbe des jeweiligen Sängers oder kleinere Variationen. Erst mit einem Fortschreiten der Musik, mit einer Differenzierung der Stile in den Genres, kamen dann spätestens ab Ende der 60er interessantere Neufassungen auf, die erstmals komplett die Stile verschoben und den Begriff des Covers wirklich neu definierten.  Wenn Jimmy Hendrix “All Along The Watchtower“ spielt, dann ist der Bob Dylan-Original kaum noch wiederzuerkennen. Die Chordstruktur stimmt, doch schon das Intro variiert Hendrix, ganz zu schweigen von der Dynamik, den Soli und den Effekten. Ein Singer-Songwriter-Stück wird zu einem Rocksong. Du niemand würde sich heute ernsthaft darüber beschweren oder Hendrix mangelnde Kreativität im Songwriting vorwerfen.
Joe Cocker hat dies in den 70ern und 80ern geradezu perfektioniert. Schon sein erster großer Hit “With A Little Help From My Friends“ war eine Coverversion eines kleineren Beatles-Songs. Und auch “You Can Leave Your Hat On“, das viele für ein Cocker-Original halten, ist auch eine Coverfassung. Aber sie ist so unterschiedlich vom Original, dass man tatsächlich von einer reinen Neuinterpretation reden kann. Hendrix wie auch Cocker haben dazu in ihren Coversongs nicht nur die jeweiligen Lieder an die Zeit angepasst, sondern damit auch etwas neues geschaffen und im Bewusstsein die Originale verdrängt, sind selbst zu diesen geworden.

Andere Lieder haben ein ähnliches Schicksal. Als Marylin Manson “Tainted Love“ coverte, beriefen sich viele auf das scheinbare Wave-Original aus den 80ern, das aber selbst schon ein Cover eines Liedes von 1965 war. Das ist der Umkehrschluss daraus. Ein Coversong, der so erfolgreich und bei dem das Original mittlerweile so unbekannt ist, wird in der Wahrnehmung selbst zum Original, das er eigentlich nicht ist.
Diese radikale Neuinterpretation gibt es aber nicht immer. Manchmal sing jemand einfach nur das alte Stück mit leicht modernisiertem Arrangement nach. Jeff Buckleys Fassung von Leonard Cohens “Hallelujah“ wäre so ein Fall. Und natürlich gibt es heute auch den Transport in ein anderes Genre.

Was mit dem Discotrend der 70er begann gilt bis heute. Ältere Songs werden dem Dancefloor angepasst. Dieser hat eigene Regeln, eigene Strömungen. Warum nicht ein bekanntes Stück nehmen, es mit Trancesounds versehen und so zu veröffentlichen? Ja, heute ist das anders. Da knallt die Kickdrum auf 4/4 rum und überhaupt ist das ja nur total unkreativ und primitiv. Aber das haben damals auch die Wächter der Moral und Musik über Hendrix und die Beatles gesagt. Heute sind das die Klassiker und morgen werden es wieder andere sein. Die Zeit zeigt, was übrig bleibt. Nicht jedes neue Cover überdauert die nächsten Jahre, nicht jeder Song wird in fünf, in 10 Jahren noch gespielt, geschweige denn gecovert werden. Eine Erscheinung also, die es schon seit Ewigkeiten gibt und nicht erst seit heute, die keinesfalls dazu benutzt werden darf, die Jugend, die nächste Generation zu diskreditieren. Das war früher schon der Fall, nur damals waren die Rollen umgedreht. Gebracht hat es ohnehin nichts und im Grunde wissen wir doch damit eines – und das birgt ja auch eine innere Befriedigung für alle – die Jugend von heute wird sich morgen auch wieder über die Unkreativität und Unmusikalität der Jugend aufregen – und dann wissen die endlich, wie das ist!

Mittwoch, 24. April 2019

Revolution auf dem Sofa!!


Es ist jedes Jahr dasselbe Ritual. Und es ist Zeit für alle Revoluzzer, die auf dem Sofa nochmal richtig zündeln und dem Establishment ins Gesicht spucken. Es ist Karfreitag und gerade jetzt wollen alle Mitdreißiger bis Endfünfziger unbedingt in die Disco gehen. 364 Tage im Jahr ist einem das nicht nur schnurz wie schnuppe, sondern auch meist herzlichst egal, denn die drögen Lärmtempel bieten weder Musik noch Publikum, das einem zusagt. Aber jetzt, wo einem einfach der quasi kostenlose Feiertag vermiest wird, indem man heute nicht abtanzen kann, da bekommt man wirklich echt große Lust darauf, das genau jetzt zu tun. Warum geht das nun nicht? Welches antiquarische Recht hindert einen an der Ausübung eines Grundrechts, gerade heute, wo man so viel Verlangen danach hat?

Und auch weiteres ist faul im Staate, denn jedes Jahr um die gleiche Zeit entdecken alle wieder und wieder, dass es eine unglaubliche Frechheit, eine Herabwürdigung der Menschenrechte ist, dass bestimmte Filme nicht öffentlich aufgeführt werden dürfen. Weil den jeder kennt und auch viele mögen, weil man sich so herrlich darüber aufregen kann, muss somit alljährlich “Das Leben des Brian“ für diesen Affront herhalten.
Ja, ich zeig´s euch! Den schau ich mir jetzt an, so lacht man dem System entgegen und startet die Revolution auf dem Sofa und schau sich einfach den Film an (der ja daheim ohnehin nicht verboten ist) und ruft ihnen zu: “Lebt damit! Ihr könnte es nicht verhindern!“
Doch selbst RTL2, der ja nicht unbedingt als innovativster, intelligentester, noch kritischster Sender bekannt ist, zeigt den Streifen einfach mal eiskalt am Ostermontag, insofern ist die Revolution schon im Establishment angekommen und die angestrebte Anarchie kaum mehr als ein laues Windchen, das dann wieder zu nächsten Ostern zelebriert werden darf.
Dabei könnte man sich dann doch auch andere Filme aus der Verbotsliste aussuchen, also sowas wie “Waidmannsheil im Spitzenhöschen“, “Nonnen bis aufs Blut gequält oder “Sexexpress in Oberbayern“ und die dann als Flagge der Grundrechte daheim auf der Couch nicht-öffentlich einfach so ansehen und den Moralaposteln ins Gesicht lachen! Wäre ja immerhin eine Abwechslung.


Betrachtet man die Liste der Filme mit Feiertagsverbot genauer, so gibt es darauf durchaus die einige wenige Produktionen, die sicherlich arg harmlos ist (wie “Banana Joe“, “Max und Moritz“ oder “Police Academy“) und bei der solch ein Verbot diskutabel wäre. Großteils befinden sich aber darauf aber harte Western, Action-, Kriegs-, Selbstjustiz- und Splatterware, genauso wie Softpornos und Erotikfilme. Darüber zu reden wäre geradezu müssig, da einige davon ihr Leben immer noch auf dem Index fristen bzw. ab 18 und somit ohnehin nicht so einfach handhabbar sind.
Desweiteren ist auf der über 700 Filme langen Liste der Großteil aus Verfahren, die zwischen 1980 und 2000 beantragt wurden, sogar mit Schwerpunkt auf die 80er. Nur ca. 50 Filme kamen in den letzten 20 Jahren darauf, was durchaus zeigt, daß der Umgang mit Medien auch in Gremien ein anderer geworden ist und auch die Aufreger selbst dort schon Vergangenheit sind. Die gute Nachricht ist also: man kann in Zukunft auch an Ostern getrost das ansehen, was man möchte und muss nicht für den Kampf zwangsläufig die Liste rauf und runter schauen.
Hurra. Ab in die Disco!
Ach ne, Karfreitag ist ja schon vorbei…


Freitag, 19. April 2019

Ihr seid unser Gewissen


Ihr seid unser Gewissen. Und zwar das ganz fiese, kleine, hinterlistige. Das bigotte, kleinbürgerliche, das selbst immer alles besser weiss und das das vor allem auch allen anderen sagen muss. Denn die anderen, die wissen ja nichts und machen alles falsch. Ja, in der Moral kann jeder Apostel sein und vor allem kann man die ganz ganz große Keule auspacken – die mit dem Holzhammer – oder der Goldkante.

Keine Ahnung, warum sich Leute aufregen, dass andere ihr eigenes Geld für eine abgebrannte weltbekannte Kirche spenden. Keine Ahnung, warum das überhaupt jemand etwas angeht. Ja klar, weil man zeitgleich ja nichts für die Armen wo-auch-immer gespendet hat. Also, so ist der Schluss der Schlusse, spende lieber niemand etwas. Egal, ob es das eigene Geld ist oder nicht. Und das Ganze wird dann noch mit einem gehörigen Schuss Polemik serviert á la “Die Kirche hat genug Geld“. Hat sie. Aber der gehört die abgebrannte weltbekannte Kirche nicht, sondern dem Staat. Und wer dafür spenden will, der soll es tun. An Weihnachten wird auch gespendet. Für Arme, Obdachlose, Bedürftige – und da machen dann vor allem die nicht mit, die sich als das Gewissen ausgeben. Denn “wer weiss, wo das Geld hinkommt“. Sehr gutes Argument. Ich weiss es nicht, aber ich will ja auch niemand sagen, was er machen soll und poste das mit Penetranz über soziale Netzwerke als doofe Tafel oder sinnfreies Pamphlet.

Spielt doch selber Gewissen und redet euch und anderen ein, was sie zu tun haben. Nur ist es meist schöner und einfacher, den anderen zu sagen, was sie nicht zu tun zu haben, als selbst zu handeln nach der eigenen so aufgestellten Maxime. Die pösen Schüler sollen gefälligst irgendwann demonstrieren, aber bitteschön nicht in der Schulzeit. Und wenn, dann nur, wenn echte Lösungen angeboten werden und nicht so sinnfrei einfach so und einfach auf Probleme hinweisen, die viel zu kompliziert sind, als das sie so einfach gelöst werden können. Bitte diesen Vorschlag auch an alle anderen Demonstrationen oder Streiks weiter geben – Demonstrieren ja, aber bitte nicht, wenn es anderen schadet oder man davon etwas mitbekommt, wenn das jemand tut, denn das ist böse.

Ohje, da ist sie – die Polemik. So leicht geht das. Einfach mal wild was unterstellen und den Moralischen machen. Dazu muss man nicht viel leisten und weder argumentativ noch bei der Formulierung große Höhenflüge der Literatur abliefern. Bang – in your face! Einfach mal drauflos und einfach mal richtig schön selbst keine Lösung anbieten und aktives Anprangering betreiben.
Ja, das stellt einen selbst auf eine höhere Stufe. Spenden für eine Kirche? Bei dem Unheil, das im Namen der Religion angerichtet wird? Oder weil die armen Armen nicht bespendet werden? Es reicht übrigens einfach mal das Anprangering, man muss ja selbst nichts tun oder sich dafür engagieren.

Aber egal wie, es geht keinen (in der Sprache der Polemik: “KEINEN“) etwas an, was irgendwer wann wo mit seinem privaten Geld macht. Vor zwei Wochen hab ich mir ein Spiel gekauft. Ich habe es bis heute nicht gespielt. Bang! In your face! Lebt damit! Kann sein, dass ich es – so wie andere Spiele auch – in den nächsten zwei Jahren nicht spiele.
Und gestern habe ich Sushi gegessen. Volle Dekadenz eben. Bang! Schreibt mir Protestbriefe! Jemand anderes hat gespendet. Für irgendwas. Blinde, Krebsvorsorge, eine Kathedrale. Für zweites davon habe ich dieses Jahr auch schon gespendet. Bang! Damit bin ich besser als all die Kathedralenspender oder wie darf ich das verstehen? Aber ich habe ja auch noch Filme, die ich vor fünf Jahren gekauft und nie angesehen habe – also Geld, dass ich quasi zum Fenster heraus geworfen habe – das macht mich wieder zu einer niederen Kreatur. Immerhin fahre ich nicht in den Urlaub, so wie all die anderen Morallethargiker, die zum Dalai Lama reisen und zugleich allen anderen erzählen wollen, wofür jeder sein Geld auszugeben hat. Weil sie es besser wissen. Weil sie das Gewissen sind. Die echte Instanz!
Dann bleibt doch da und fahrt in den Schwarzwald. Ist besser für die Klimabilanz und die Wirtschaft – man schafft Arbeitsplätze und stärkt nicht-städtische Regionen. Ich kann das sagen. Ich fliege nicht zum Spaß in der Welt herum. Deswegen bin ich die moralische Koryphäe in dieser Disziplin.
Verneigt euch vor mir und spendet das Geld, das ihr dafür verwendet hättet. Macht etwas sinnvolles damit – aber bitte nicht für Schuhe, Essen (außer Käsebrote) oder so etwas profanes wie Kino, Musik, Konzerte oder Unterhaltung ausgeben.
Spenden, meine Lieben! Sofort.
Ich habe das nicht gesagt. Sondern ihr.
Denn ihr seid es.

Unser Gewissen.

Donnerstag, 4. April 2019

Gefangen in der eigenen Legende


Lebende Legenden gibt es tatsächlich – noch und immer wieder. Auch wenn deren Anzahl überschaubar ist, so werden das mit fortschreitendem Alter deutlich mehr als dies früher der Fall war. Das ist sicher ein großes Merkmal weltweiter Vernetzung und der Massenmedien. Und eben dass Musik von vor 30, 40 oder gar 50 Jahren nicht mehr als altbacken definiert wird und auch heute noch neues Publikum findet. Die “Rolling Stones“ füllen Stadien, trotz dessen dass die Bandmitglieder über 75 sind. Ja, richtig. Stadien und über 75. Wie schon in Blogartikel über “Früher waren wir alt“ wäre das vormals ein Anachronismus sondergleichen gewesen.
“Kiss“ brechen gerade zu ihrer dreijährigen Abschiedtour auf, komplett in voller Montur mit Plateauschuhen und kompletten Kiss-Outfit. Gene Simmons wird 72 sein, wenn sie die Tour beenden. Auch das sind lebende Legenden. Die Konzerte laufen gut, die Preise sind hoch, kaum bezahlbar teilweise, wenn man kein Hardcore-Fan ist. Wenn Elton John auf Tour geht, sind die Hallen ausverkauft und mit 290,- Euro Eintrittspreis hat man geradezu ein Schnäppchen gemacht, wiewohl man die Bühne für das Geld eher erahnen als sehen kann und auf die Videoprojektion angewiesen ist.

Und dann kommt das Konzert. Und die Bands liefern. Es sind altgediente Streiter, die wissen, was das Publikum will. Paul McCartney spielt zum abermillionsten Mal “Hey Jude“ auf dem Klavier, die Stones “Satisfaction“ und “Metallica“ (okay, nicht die gleiche Legendenliga, aber die Jungs sind ja erst Mitte 50) liefern selbstverständlich auch 2019 “Enter Sandman“ ab. Das ist es auch, was das Publikum letztendlich hören will. Die “Klassiker“, die Hits, die bekannten Songs, die man mit einer speziellen Ära einer Band oder eines Künstlers verbindet. Ja, es gibt eventuell ein neues Album, aber bitte spielt doch einfach “Honky Tonk Women“ und alle sind glücklich. Elton John lässt sich nicht bitten und haut “Rocket Man“ und “Candle in the Wind“ auf seiner aktuellen Tour raus. Und auch jede Setlist der genannten Bands und ähnlicher Größen liest sich einfach wie das nie erschienene beste “Best of“ der Künstler. Einfach gnadenlos 20 Hits hintereinander geklatscht und gut ist und vor allem gehen alle zufrieden nach Hause.
Klar, es gibt auch die Fans, die einen Titel aus dem kaum gespielten “The Elder“-Album von “Kiss“ abfeiern würden, doch die Freude hielte sich in Grenzen beim Rest, der nicht mal die Titel kennt. Wer für die Massen spielt, der muss der Masse auch das bieten, was sie begehrt. Schon Goethe schrieb dereinst in Faust: “Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen“ und hat damit vor über 230 Jahren die Psychologie dieser Masse erkannt, indem er dort im Vorspiel im Theater den Direktor des Theaters genau das vom Poeten fordern ließ; nämlich dieser zu geben, was sie braucht.
Und so ist es auch heute noch.

Gut, dass Bands solche Hitfeuerwerke abschießen können ist eine starke Leistung. Kaum Füller oder das Warten darauf, dass endlich ER gespielt wird – der große Überhit, den alle herbeisehnen, wie es bei anderen Gruppen der Fall sein mag. Dennoch müssen sie liefern. Die Fans wollen, was sie wollen und allzu große Abweichungen lässt man selbst kaum zu. Man reglementiert sich also auch. Was kommt gut an, was nicht – das weiß man nach Jahrzehnten auf Tour, ist aber auch in diesem Kreislauf gefangen. Man spielt, was gefällt, nicht das was man möchte, das was man nicht Millionen Mal dargeboten hat, das was vielleicht anspruchsvoller, interessanter wäre.

Aber nicht nur hier ist man dem unterworfen, auch bei neuen Veröffentlichungen. “Kiss“ hat innerhalb von 20 Jahren genau zwei Alben rausgebracht – das letzte vor sieben Jahren. Die “Stones“ im selben Zeitraum ebenfalls die gleiche Menge – das neuste Album von 2015 besteht zudem nur aus Coverversionen alter Bluestitel anderer Künstler. Elton John feuerte hingegen ganze sieben Alben in der gleichen Zeit raus. Nur hat man davon kaum was mitbekommen letztlich.
“Mehr vom Gleichen“ ist die Attitüde von “Kiss“ mittlerweile, die einfach straight hard rock ohne Schnörkel auf den letzten Studioalben geboten haben. “Lieber nichts neues, als was schlechtes“, scheint die der “Stones“ zu sein, die darum dann auf Coversongs zurück greifen, um nochmal abzusahnen. Denn die Alben verkaufen sich durchaus, das ist ja der Legendenbonus, doch dann wirklich hören mag man das nicht immer wollen, wenn die Zeit dafür eigentlich abgelaufen ist. Man konserviert die große Zeit der Band, die 60er und 70er bei den Stones, die 70er und 80er bei “Kiss“. Damit verbinden die Leute etwas, das ist der Kern der Legende. Die unmaskierten Zeiten von “Kiss“ sind vergessen, auch die dieser Ära Alben eher unbeachtet. Selbst das in den 90ern erfolgreiche “Anybody Seen My Baby“ der “Stones“ findet sich nicht mal auf aktuellen Setlisten der Band. “Paint It Black“ und “Gimme Shelter“ sind halt doch einfach größer irgendwie.

Es kann eben auch hemmend sein, diesen Status zu besitzen. Die Albenproduktion dauert länger, die eigenen Ansprüche sind höher, man ist weniger locker im Umgang damit, die Legende spielt mit in die eigene künstlerische Tätigkeit hinein. Ein neuer Song, der stilistisch nicht wie die alten ist? Ein Titel, dessen Potential nur der eines Füllers ist, wenn man ihn mit den alten vergleicht? Fans, die althergebrachtes wollen und keine neuen Wege? Da blockt man sich leicht selbst aus, stagniert ohne neue Veröffentlichung oder muss sich geradezu herkulisch dazu aufraffen, um etwas anzugehen. Und wenn dann was erscheint, dann ist es eventuell sogar durchaus erfolgreich aufgrund des Legendenbonus, aber richtig hören wollen die Leute anderes.
Die Konservierung der Legendenzeit ist es, was man sucht. Während Paul McCartneys neustes Album auch die Nummer eins der Charts erreichte, stürzten sich die Fans 1995/96 wie bekloppt auf die dreiteilige “Beatles-Anthology“, die vor allem Resteverwertung alter Aufnahmen und Demos waren und eigentlich nur für Hardcore-Fans goutierbar sind. Trotz der harten Kost verkaufte sich das damals mehr als dreimal so viel.  Und als “Pink Floyd“ 2014 nach 21 Jahren mit “The Endless River“ ein neues Album veröffentlichten, so waren das die Reste der Aufnahmen für das 1993 entstandene “The Division Bell“ und keine eigentlich neuen Songs. Auch dieses Kuriosum mag ein Teil dessen sein, dass man als lebende Legende erfährt, nämlich, dass die Legende irgendwann größer geworden ist als man selbst.

Dienstag, 12. März 2019

Das Product Placement des Jahres


Erst vor einer Woche habe ich eigentlich alles über die Pro7-Show “Das Ding des Jahres“ gesagt, was man sagen kann. Lahme Erfindungen, ellenlange Dauer, viel zu viel Werbung. Das war eigentlich nicht mehr zu toppen – zumindest wollte ich kein Wort mehr drüber verlieren. Doch dann schießt “Das Ding des Jahres“ das Unding des Jahres ab, indem in der Erfindershow ein Produkt vorgestellt wird, dass es nicht nur seit mindestens acht Jahren gibt, sondern das schon ebenso lang auf dem Markt ist und seine Vertriebswege vor allem im Verkaufsfernsehen hat. 
Der Überkochschutz wird hier aber quasi als neue Erfindung dargestellt, dessen Erfinder sich die potentiellen 100.000,- Euro Preisgeld bestimmt verdient hat. Man mag es sicher dem Menschen gönnen, aber gibt es wirklich einen Redakteur im Team, der  auf die Idee kommt, dass das etwas anderes als ein kostenloser ellenlanger Werbeclip für das Produkt ist? Nunja, das ist es ja immer, aber eben nicht für eines, dass nicht nur am Markt ist, sondern dort auch gehörige Absatzzahlen hat. Wäre es hier nicht angemessener gewesen, den Überkochschutz für einen Werbespot zahlen zu lassen, anstelle ihm noch einen Geldgewinn zu ermöglichen? Und ohne Zweifel muss man die Frage zulassen, ob das Produkt etwas für die Platzierung gezahlt hat? Wie dem auch sei – durch diesen unsinnigen Fehler, Misentscheidung oder einfach nur im besten Fall schlechte Recherche, kann man definitiv nichts mehr von der Sendung erwarten. Wer wird der nächste “Erfinder“ sein? Ein besonders scharfes Messerset von einem anderen Verkaufskanal oder doch ein großer Limonadenkonzern, der eine neue Geschmacksrichtung auf den Markt bringt?

Das interne Duell hat das Produkt übrigens gewonnen. Und auch den Tagessieg in der Ausgabe. Jetzt darf es noch einmal präsentiert werden bei der großen Finalsendung. Dann aber bitte mit einem hoffentlich deutlich lesbaren “Dauerwerbesendung“-Schriftzug in der Ecke.