Die Coronapandemie hat vieles gezeigt und zu Tage gebracht.
Dass die Welt klein ist, dass der Mensch trotz aller Hybris und Technologie von
einem Virus in den Grundfesten erschüttert wird, dass H.G. Wells Recht hatte,
als er 1898 die überlegenen Außerirdischen in “Krieg der Welten“ nicht durch
menschliche Stärke oder Erfindungsgeist besiegen lässt, sondern durch die
simpelste aller Lebensformen, nämlich einfache Bakterien.
Die derzeitige Situation mag man nun auch als Schlag Gottes oder
der Natur gegen die menschliche Hybris sehen, das Ende sei nahe verkünden oder
wie auch immer für eigene Anschauungen oder Ziele instrumentalisieren. Oder man
nimmt es als Ausprägung eines widernatürlichen Lebensstils, angefangen von der
Ausbeutung der Natur bis zu Massentierhaltung.
All das mag und darf man tun. Philosophische Ansätze davon sind auch richtig
und wichtig. Aber in all dem darf man nicht das Direkteste vergessen, d.h. wie
reagiert man darauf und wie nimmt das alles der normale Bürger wahr, der Kinder
hat, zur Arbeit geht, der sich Sorgen um die Großeltern macht und schwankt
zwischen Weihnachten in der Familie und totaler Abstinenz. Der die Kinder
isoliert, Kontakte beschränkt, Beziehungen verhindert, das soziale Umfeld rein
virtuell gestaltet. Oder der sich denkt, lasst mich in Ruhe damit, wir sterben
ohnehin alle, lasst uns das nicht so eng sehen.
Warum Handlungsempfehlungen scheitern und sich Menschen erst
durch rigorose Gesetzte und Gebote an Dinge halten, ist fast schon zu klar. Der
große Feind ist immer der Trott, die Gewohnheit. Was, die soll ich ändern? Auf
keinen Fall, ihr spinnt ja!
Ja, das ist der größte Feind. Nicht umsonst befinden sich
Menschen unsäglich Lange in Situationen, die sie selbst eigentlich gar nicht
wollen. Der Job ist schlecht, die Partnerschaft schon lange über den Berg,
Nichtraucher sein wäre toll, ich wollte schon immer ein Buch schreiben und
wenn, dann wird es großartig - und außerdem ist man viel zu dick geworden. All
das kann aber leider nur einer ändern. Man selbst. Und das ist auch das
Dilemma.
Status Quo wünschten sich nämlich nicht nur die Teilnehmer des Wiener
Kongresses 1815, sondern das wünscht sich auch jeder Mensch. Nur nichts ändern,
es ist ungewiss, was da dann auf einen zukommt. Als ob es das nicht ohnehin
wäre. Und dann, das ist das schwerste von allem, müsste man aus seinem Trott
ausbrechen, aus der Bequemlichkeit eines eingespielten Alltags, aus bekannten
Abläufe, aus allem was genau kalkulierbar ist, was keine Änderung bedeutet, was
so ist wie immer, wo also die Anstrengungen gering sind.
Das könnte man noch weiter ausführen, doch ich denke, der
Punkt ist klar geworden. Und das spielt auch bei der Umsetzung von Dingen eine
Rolle, die nötig sind, um weiter auf dem Planeten zu leben. Weniger Raubbau mit
der Natur, weniger Fleischkonsum, saubere Meere, weniger fossile Brennstoffe.
Das klingt ja alles schlüssig, aber sobald es ans Ändern geht, laufen die Leute
Sturm.
Das hieße ja dann faktisch wirklich weniger Auto fahren.
Oder eben weniger Fleisch essen. Oder weniger Feuerwerk. Wo kämen wir denn da
hin, wenn all die ganzen Traditionen wegfallen. Die machen unsere Kultur ja
aus.
Ja, die machen sie aus. Und zwar die Kultur des ungehemmten
Wohlstand, in der wir uns befinden. Noch nie wurde das so praktiziert wie
heute. Selbst der allmächtige Sonnenkönig hat sich einst mit einem Plumpsklo
zufrieden geben müssen und angeblich stank es in Versaille derart, dass man dem
Übel nur mit dem Versprühen von Unmengen von Parfum Herr werden konnte.
Fleisch jeden Tag in rauen Mengen auf dem Tisch gab es nie
zuvor. Einmal in der Woche vielleicht, ansonst war das eben in Resten verkocht
in einem Eintopf oder einer Suppe. Das sind nur Traditionen, die welche sind,
weil man es nicht anders kennt, weil man im Honigtopf aufgewachsen ist und
nicht ein Körnchen Zucker von seinem Teller fallen sehen möchte. Das Schlimme
dabei ist, dass man selbst diesen Honigtopf gar nicht sieht, sondern in
menschlicher Hybris und arroganter Unbescheidenheit davon parliert, man könne
einen ja nicht Beschneiden in diesen Dingen, denn das wäre Sklaverei und
Tyrannei.
Faust ins Gesicht ist meine Antwort darauf. Einfach mal die
Klappe halten. Denn wer nicht erkennt, dass er da ist, wo er ist, der hat es
nicht verdient. Der sollte genau dies erfahren, nämlich Tyrannei und Diktatur.
Wer dies jetzt hier ruft, der scheißt damit auf alles, wofür Menschen gestorben
sind, die genau dagegen gekämpft und gelitten haben. Respekt. Bescheidenheit.
Das fehlt leider viel zu oft. Ja, natürlich, man kann etwas verbessern, aber
genau darum geht es in diesem Fall ja nicht, sondern dass die eigene Wohlstandssuhlerei
nicht in Frage gestellt wird. Dass man schön Erdbeeren im Winter bekommt, die
Regale immer voll sind und am liebsten alles sofort und immer haben möchte. Da
wird die Freiheit der eigenen Rechte für ein kostenloses Handyspiel aufgegeben
und dann lauthals gegen „das System“ gebrüllt, wenn es mal daran geht, selbst
aktiv zu werden.
Auch das könnte man lange ausführen, aber ich denke auch
hier ist der Punkt klar geworden.Ändern möchte sich keiner und schnelle Änderung schon gar
nicht. Auch wenn es besser wäre. Für einen oder für alle. Es wird sie immer
geben, die die es rauszögern, die es nicht wahrhaben wollen aus den oben
genannten Gründen. Und deswegen funktioniert es in der Masse leider nur mit
Gesetzen, wenn etwas durchgesetzt werden soll. Ansonst beruft sich nämlich
wieder irgendjemand, der zu bequem und zu faul ist, etwas anders zu machen auf
seine Grundrechte Scheiße labern zu dürfen oder diese auch gefälligst genau so
ausführen zu wollen bzw. dies nicht zu tun. Und schon gar nichts “für“ die
anderen tun zu müssen, auch wenn man nicht betroffen wäre oder es einem egal
sei, aus welchem Grund auch immer.
Kommen wir zum letzten Aspekt dieses Essay, denn der
Argumentationskette folgend, dass niemand Änderungen möchte, weil diese die
Gewohnheiten ändern und vor allem schnelle Maßnahmen nur durch Gesetze
durchführbar sind und nicht auf den (ohnehin meist nur dezent vorhandenen)
Intellekt der Menschen setzen können – und das ist die Rolle der Medien. Denn
diese muss sich auch ändern. Und das wollen die genauso wenig, aber auch sie
müssen sehen, dass es mehr gibt als Schlagzeilen in der eigenen Verantwortung
zum Konsumenten.
Ja, es gibt keine “die Medien“, denn diese sind ein Konglomerat
aus vielem. Zeitungen, Radio, TV, Internet-Plattformen, Social-Media. Und auch
hier reicht das Spektrum von links nach rechts. Und auch in der Ausprägung ist
das unterschiedlich, auch bei den Rezipienten, die man anspricht. Aber trotzdem
gibt es Züge, auf denen alle fahren.
Schnell berichten ist einer davon. Schlagzeilen raushauen
ein anderer. Eine Schlagzeile ist nicht einfach eine Überschrift, sondern diese
soll ja dafür sorgen, dass man einen Artikel liest, einen Beitrag klickt oder
ansieht. Und das geht nur durch maximale Wichtigkeit, Angst, Neugier und
Polarisation. Ist es JETZT wichtig, dann muss man das quasi Lesen. Polarisiert
es – umso besser. Denn egal was drinsteht, es ist ja eine neue Ansicht zu einer
alten Meinung. Und das verkauft sich leider immer noch am Besten.
Jeden Sommer hagelt es die immer gleichen Meldungen, wenn das
vielzitierte mediale Sommerloch gerade anklopft. Natürlich gibt es da auch die
Brandstorys wie “Kann man Melonenkerne eigentlich mitessen?“ oder “Blumentopf
in Freiburg von Fensterbrett geworfen – Polizei bittet um Mithilfe!“.
Aber eben auch klassische Sommerloch-Polarisation wie “Trinkt
nur heisse Getränke, wenn es warm ist! Richtig heiss! Keine Kaltgetränke!“
Oder: “Schlaf dich schlank – Abnehmen im Schlaf, so einfach ist das.“
Und natürlich wird dann auch der unbekannte Abseitspolitiker aus der zehnten
Reihe zitiert, der irgendeinen abstrusen Nonsens fordert, den sowieso niemand ernst
nimmt, außer es ist Sommerloch und er polarisiert damit schön und man liest den
Schwachfug, um sich gepflegt darüber aufzuregen und dann auf die Politiker zu
schimpfen und die Pläne, “die die da oben“ wieder einmal vorhaben.
Pustekuchen. Wollte ja keiner, aber es liefert so schönen
Stoff und Aufregen tut ja auch der Seele gut, denn dann geht es einem selbst
wieder besser, da man ja seiner Wut Luft gemacht hat. Geändert hat man eh nichts
und letztlich wird ja auch das nicht gemacht, was Mr. Nochniegehört da im
Sommerloch gequakt hatte, also alles beim Alten und keinem tut es weh.
Aber auch ausserhalb dieser Zeit funktionieren Schlagzeilen
so. Polarisation ist immer noch das Beste Mittel. Neben Angst und Dringlichkeit.
Angst gibt es allerdings gerade inflationär. Das zieht dann nicht mehr ganz so
gut und läuft sich aus. Und wenn das der Fall ist, dann muss man eben andere
Hebel ansetzen.
Und hier beginnt die Verantwortung. Es ist eben nicht
Sommerloch gerade. Sondern eine Pandemie, die die Menschen verunsichert und die
vor allem Geschlossenheit braucht. Es ist, wie erklärt, ohnehin schon schwierig
den Trott zu überwinden, erst Recht wenn es negative Auswirkungen hat, nämlich erhebliche
soziale Einschränkungen. Hier fordern alle Einigkeit und soziales Verhalten
Füreinander. Aber in der letzten Konsequenz müssen sich auch die Medien daran
halten.
Eine Schlagzeile ist eine Schlagzeile, aber jetzt ist sie
eben viel mehr. Im schlimmsten Fall ist sie verunsichernd und kontraproduktiv.
Und das sollte man selbst bedenken. Sofort als es um das Thema Masken ging, kam
die Polarisation auf, dass diese auch nicht ausreichend schützen.
Dankeschön.
Aber besser als ohne, so ist der allgemeine Konsens
mittlerweile definitiv.
Keiner braucht hier Erbsenzählerei die öffentlich
ausgetragen wird.
Wie krumm muss die Banane sein, um noch als Banane
durchzugehen?
Bitte klärt das doch in Brüssel und bitte spendiert keine
weitere polarisierende Schlagzeile mehr für noch mehr Verunsicherung. Die
Presse hat hier eine Verantwortung und dieser kommt sie nicht in dem Maße mach,
die sie sollte. Auch sie muss sich einer moralischen Kritik stellen und kann
nicht wahllos für reine Click- und Leserzahlen alles letztlich torpedieren.
Das Torpedieren ist zwar nicht gewollt, aber es ist die
Folge dessen. Nämlich dass es eine noch größere Verunsicherung gibt. Dass
Menschen zum einen jeden Strohhalm ergreifen werden, nicht das zu tun, was
Änderungen erzeugt (der Klimaschutz ist da das beste Beispiel), zum anderen,
dass das all denen in die Karten spielt, die ohnehin dagegen angehen und
zuletzt dass es noch die verunsichert, die eigentlich das Richtige tun wollen.
Es gibt Momente an denen eine Schlagzeile nicht mehr wichtig
ist. An denen eigene Bereicherung und eigener Erfolg hinter dem Rest
zurücktreten müssen. Das fordere ich von den Medien und der Presse. Mut zu
besitzen und Einigkeit zu fördern und nicht Zwietracht zu säen, selbst wenn
dies unbeabsichtigt wäre. Soviel Umsicht sollte man haben – oder sie sich
wieder erarbeiten.